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Werkkommentare zu »Aggregate«

Am 16. Oktober 2021 bringt das Tiroler Kammerorchester InnStrumenti im Landesstudio des ORF in Innsbruck Kompositionen von Erich Urbanner, Katharina Blassnigg, Klex Wolf, Michael Wahlmüller und Alexander Ringler zur Aufführung. Sie können das Konzert live vor Ort oder virtuell im Videostream verfolgen. Vorab laden wir Sie ein, sich ins Programm einzulesen.

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Am 16. Oktober 2021 bringt das Tiroler Kammerorchester InnStrumenti im Landesstudio des ORF in Innsbruck Kompositionen von Erich Urbanner, Katharina Blassnigg, Klex Wolf, Michael Wahlmüller und Alexander Ringler zur Aufführung. Sie können das Konzert live vor Ort oder virtuell im Videostream verfolgen. Vorab laden wir Sie ein, sich ins Programm einzulesen.

Erich Urbanner schreibt über sein Werk mit dem Titel »…was kann der Maximilian dafür? – Impressionen anno MMXVIII/MMXIX für Kammerorchester«:

Mein Versuch, auf diese Weise einen für mich gangbaren Weg der Öffnung zu finden und einzuschlagen, lag sicher auch daran, daß Musik im Laufe eines Zeitraums von 500 Jahren viele entscheidende wie auch umwälzende Veränderungen erfahren hat. Die Kreativität auf der Suche nach Neuem ruft ebenso Emotionen hervor, auch die Freiheit zum Widerspruch einzuräumen, sich aber der Tatsache bewußt zu werden, daß Musik auch innerhalb einer Jubiläumsveranstaltung ihren Stellenwert als autonome Kunst sui generis immer bewahren sollte.
Abschließend sei noch auf einen kurzen choralartigen Epilog hingewiesen, der sich nochmals auf das Zitat des Werktitels bezieht, eine mögliche Antwort zum Ergebnis dieser kompositorischen Arbeit sein konnte.

Erich Urbanner

Klex Wolf hat uns zu seiner titelgebenden Komposition »Aggregate. Musik für Fender-Piano und zwei Kammerensembles« den folgenden Text übermittelt:

Der Titel des Werkes mag ein wenig technisch klingen, für mich war der Begriff eine Entdeckung, denn er birgt in sich viele Aspekte, die mir während der Kompositionsarbeit wichtig waren.
Aggregat (lateinisch aggregatum: das Angehäufte) bezeichnet allgemein eine Einheit, die durch Zusammensetzung einzelner, relativ selbständiger Teile zustande kommt. In der Chemie beschreibt man damit einen lockeren, nicht stark gebundenen Zusammenhang von Molekülen. Tatsächlich bleiben die einzelnen musikalischen Bestandteile und die Instrumentengruppen des Stückes recht unabhängig. Sie bewegen sich aufeinander zu, türmen sich zu Häufungen auf und entfernen sich wieder voneinander. Die Musik bleibt nur für Momente in einem konstanten Aggregatzustand, Gegensätzliches kann zur gleichen Zeit stattfinden. Oft erklingen parallel unterschiedliche Tonarten und Taktarten und einige Male werden Gruppen unabhängig voneinander langsamer oder schneller.
Für Immanuel Kant ist das Aggregat eine zufällige Anhäufung, die der Verstand zusammenstellt, im Gegensatz zum systematischen Zusammenhang. Und damit kommt der kreative Aspekt zur Geltung, denn die Entscheidungen, wie die musikalischen Bestandteile zusammengefügt und wieder durcheinandergewirbelt wurden, sind natürlich intuitiv zustande gekommen.

In Erinnerung an Bert Breit (1927- 2004)
Ursprünglich wollte ich vermeiden, mich in diesem gewidmeten Werk an die Musik von Bert Breit anzubiedern. Tatsächlich konnte ich nicht komponieren, ohne an ihn zu denken, und ich konnte nicht an ihn denken und seine Musik außen vorhalten. Es gibt also einige versteckte Bezüge, die sich aber vermutlich nur mir selbst erschließen, und das ist auch gut so. Die einzige offensichtliche Bezugnahme findet sich in Aggregat 4. Hier erklingt ein Zitat der Kennmelodie zur Radioendung „Der Schalldämpfer“, die von Bert Breit komponiert wurde. Der Schalldämpfer war eine von Axel Corti gestaltete Hörfunksendung, die zwischen 1969 und 1993 in Ö1 ausgestrahlt wurde.

Klemens Klex Wolf

Zum Stück »accordatura« schreibt die Komponistin Katharina Blassnigg:

In der Komposition accordatura für Kammerorchester (und Publikum) hat, neben den beiden Soloviolinen, der Kammerton a’ seinen großen Auftritt: Mit ihm beginnt der Einstimmvorgang des Orchesters, die vorherrschende Klangfläche besteht aus seinen Obertönen, die Melodien der Soloviolinen entnehmen ihre Töne der Obertonreihe mit der auf das a abgestimmten reinen Intonation und mit ihm endet das Werk mit dem Einstimmvorgang des Publikums – denn, warum sollte sich nicht auch ein Publikum einstimmen müssen? (Auch das richtige Zuhören ist ein kreativer, künstlerischer Prozess, der nicht unterschätzt werden darf!) Einhergehend mit der intensiven Auseinandersetzung mit dem im musikalischen Geschehen stets präsenten Stimmton finden dezent überzeichnete Geschehnisse statt, die in der Regel unbeachtet im allgemeinem Konzertwesen vorkommen.

Katharina Blassnigg

Das verbleibende Werk im Programm steuerte Michael Wahlmüller bei. Er kommentiert sein Werk so:

„Amalgamations“ für Kammerorchester entstand im Sommer 2021 als Auftragswerk des Tiroler Kammerorchester Innstrumeni in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik für das Konzert „Aggregate“ im Rahmen des Festivals Zeitimpuls im ORF Innsbruck. Dabei greift die vorliegende Komposition diesen Titel auf.

Der Prozess des Amalgamierens bedeutet, das Herauslösen des edleren Metalls aus einer Grundsubstanz durch Veränderung des Aggregatzustandes. So kann man unter Zuhilfenahme von Quecksilber, das bei diesem Prozess verdampft, aus Erzen zum Beispiel Gold oder Silber gewinnen. Amalgamierung kann aber noch darüber hinaus mehr bedeuten: In der Alchemie wurde der Begriff „amalgama“ zum Beispiel auch als die Versinnbildlichung der körperlichen Vereinigung verstanden. Für mich war es in erster Linie dieses Verschmelzen zu etwas Wertvollerem, was mich zu dieser Komposition inspirierte, die zwar diesen an sich chemischen Vorgang in den Mittelpunkt stellt, aber nicht im Sinne von Programmmusik verwendet, sondern die philosophisch-transzendierende Ebene im Fokus hat und sozusagen mehr über diesen Prozess nachdenkt, als ihn nachzuzeichnen.

Es gibt eine Reihe von Akkorden, die sich durch das gesamte Stück wie ein roter Faden ziehen und die sich dabei zunehmend verändern und auch durch ihre oftmals zahlensymbolische Bedeutung auf die Taktarten, den Rhythmus und die Melodiebildung einwirken. Letztlich „lösen“ sie sich dann im letzten Abschnitt in eine Zwölftonreihe auf, die in den Celli und Bässen klar herauszuhören ist, wobei ich sie nicht im Sinne der Dodekaphonie verwende. Auch aleatorische Patterns, die gleichzeitig mit herkömmlich notierten Passagen ablaufen, symbolisieren in ihrer Verquickung den Prozess des Amalgamierens, wie ich ihn für mich höre, sehe und verstehe.

Michael Wahlmüller, Herbst 2021

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