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En plus: Crosstalks 2022

Am 18. November 2022 geht das diesjährige Crosstalks-Konzert in Wien über die Bühne. Wir sprachen im Vorfeld mit Dieter Kaufmann und Daniel Mayer.

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Grafik: Christoph Renhart

Im Vorfeld des diesjährigen Crosstalks-Konzerts haben wir mit zwei Komponisten gesprochen, die im Bereich der zeitgenössischen elektronischen Musik in Österreich Pionierarbeit leisteten bzw. leisten. Die Arbeitsweisen von Dieter Kaufmann und Daniel Mayer sind im höchsten Maße verschieden und zeugen von der großen Bandbreite im Bereich der zeitgenössischen Klangkunst, die sich nicht nur über mehrere Generationen erstreckt, sondern auch nach wie vor ein enormes Potenzial für ein innovatives künstlerisches Schaffen bietet.

Ist Ihr Stück interpretierbar? Welche Rolle spielt der Klangregisseur für Ihr Stück? Welche interpretatorische Bandbreite lässt Ihre Musik zu?

Dieter Kaufmann: Der Klangregisseur ist besonders wichtig. In Frankreich ist es ein eigener Beruf. Das hat damit zu tun, dass zur Aufführung elektroakustischer Kompositionen oft ganze Lautsprecher-Orchester  üblich geworden sind, um die räumliche Komponente des betreffenden Saales zu nützen. Dabei können auch Hoch- bzw. Tieftöner-Lautsprecher eine Rolle spielen.

Daniel Mayer: Der räumliche Aspekt spielt eine wichtige Rolle, wobei die Differenzierungen algorithmisch generiert und somit bereits festgelegt sind. In Abhängigkeit von der besonderen Raumsituation können dann live Anpassungen der Lautstärke und eventuell Variationen in der dreidimensionalen Gewichtung vorgenommen werden. Das ist aber keine „klassische“ räumliche Interpretation im Sinne der französischen Schule der Akusmatik, wo oftmals Stereoversionen der Ausgangspunkt sind.

Schönberg prägte die markige Formulierung der »formbildenden Tendenzen der Harmonie«. Gibt es so etwas in Ihrer elektroakustischen Komposition? Wie nimmt sich die vertikale Klanggestaltung in Ihrer am 18. November gespielten Komposition aus?

Dieter Kaufmann: In vielen meiner Kompositionen möchte ich auf den Dreiklang nicht verzichten, auch in elektroakustischen Werken kann er als formbildendes Element eine Rolle spielen, z.B. als fanfarenartiges Signal oder als absinkende Dreiklangsstruktur am Ende des Stückes in meiner “Herbstpathétique”.

Daniel Mayer: Die Formbildung ist hier im Wesentlichen durch Verläufe der Dichte und der Klangparameter der verschiedenartigen Prozessierungen gegeben und gar nicht durch Harmonien im klassischen Sinn. Allerdings spiele ich mit einer Quart im hohen Register, die, mehr oder weniger verzerrt, als Bezugspunkt immer wieder aufleuchtet.

Welche Rolle spielt Rhythmik in Ihrer Komposition?

Daniel Mayer: Der Komposition liegt ein durchgehender schneller Puls zugrunde, der durch räumliche Verteilung, klangliche Variation und zufällige Pausen aufgelockert bzw. verzerrt ist. Die Pausenstruktur erzeugt separate Gesten, ein übergeordnetes Atmen und Pulsieren.

Dieter Kaufmann: Ich würde in “Herbstpathetique” weniger von Rhythmik als von Dauern sprechen. Die Organisation des zeitlichen Ablaufs spielt bei mir eine wichtige fombildende Rolle

Heuer jährt sich zum 50. Mal der Anlass für den Kompositionsauftrag zu „Herbstpatetique“ – die Olympischen Spiele 1972, die bekanntlich in einer Tragödie endeten. Wurde das Stück damals tatsächlich in diesem Rahmen (ur-)aufgeführt?

Dieter Kaufmann: “Herbstpathetique” wurde in einem Konzert der “Groupe de Musique experimentale de Bourges”, die anlässlich der Olympiade 1972 nach München eingeladen worden war, uraufgeführt und hat mit den später erfolgten tragischen Ereignissen nichts zu tun. 

»I’m searching without knowing for what.« Diesen Satz kann man dem Kommentar zu »Matters« auf daniel-mayer.at entnehmen. Ich finde ihn erstaunlich konzise, den Prozess kreativen Schaffens auf den Punkt zu bringen. Ist Materie einfach da? Was muss überhaupt erfunden werden und nicht gefunden werden?

Daniel Mayer: Dieser Satz mag paradox klingen, aber er trifft auf meinen Kompositionsprozess absolut zu. Ich habe seit vielen Jahren kein Stück komponiert, bei dem ich mit einer klanglichen Vorstellung begonnen habe. Ich denke, dass es sich hier um einen fundamentalen Unterschied zwischen der Komposition für Instrumente und elektroakustischer Komposition handelt. Die Technik ermöglicht es, spontan auf Experimente während des Kompositionsprozesses zu reagieren. Das Festhalten an Vorstellungen kann enorm beschränkend sein, außerdem: warum sollten meine Vorstellungen für andere interessant sein? Es geht doch um das Resultat.

Hat man mit Programmiersprachen wie SuperCollider ein Werkzeug, tatsächlich komplett neuartige Materie zu schaffen oder gibt es auch hier Einschränkungen ähnlich wie bei Instrumentalklängen (die Teiltonstruktur eines Klaviertons kann man etwa durch spieltechnische Beeinflussung nicht beliebig gestalten)? Du beschäftigst Dich ja ausgiebig mit neuartigen Formen von Klangsynthese (z.B. über Differenzialgleichungen). Inwieweit führt das zu völlig neuartigen Klängen?

Daniel Mayer: Meine Erfahrung ist, dass es tatsächlich unglaublich viele Klänge gibt, die völlig neuartig und unverbraucht sind – Matters 9 verwendet eher ungewöhnliche und schnelle Abfolgen und Kombinationen bekannter Prozessierungen. Ich glaube grundsätzlich nicht an das Ende der Materialentwicklung, insbesondere nicht im elektronischen Bereich – Fortschritt wäre hier wohl ein anmaßender Begriff. Und ja, ich denke, dass Programmiersprachen der wesentliche Schlüssel zur Erforschung neuartiger Materie sind. Aber natürlich muss niemand auf Materialsuche gehen, das ist eine persönliche Entscheidung, Musik hat viele Aspekte.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Verwendung von Algorithmen und Programmiersprachen im kompositorischen Prozess bei Instrumentalmusik und elektronischer Musik? Welche Rolle spielen Sie in Ihrem kompositorischen Prozess?

Daniel Mayer: Algorithmen sind für mich das primäre Mittel der Klang- und Formgestaltung, insbesondere im rein elektronischen Bereich.

Dieter Kaufmann: Als Komponist vokaler und instrumentaler Musik verwende ich auch in elektroakustischen Kompositionen keine Algorithmen.

Herr Kaufmann, Sie haben in Ihrer Karriere den Übergang von analogen zu digitalen Produktionsmethoden in der elektronischen Musik miterlebt. Welche ästhetischen bzw. praktischen Konsequenzen sehen Sie in dieser Entwicklung? Was ändert sich, was bleibt gleich? (Herbstpathétique – 1972 – und Paganihilismo – 1998 – zeigen Parallelen in der Verwendung von überlagerten Schichten und Glissandi)

Dieter Kaufmann: Mir geht es in meinen elektroakustischen Stücken meist um die Darstellung der uns umgebenden Klangwelt, wozu auch jede Art von vorhandenen  Musik-Elementen zählen kann – auch Mozart ist für uns zur klanglichen Umgebung geworden … Die Verwendung synthetischer Klänge hat mich nur selten interessiert.

Inwieweit verändert die Verfügbarkeit jeder Art von Musik – und Information über Musik – über das Internet, das musikalische Bewusstsein und die musikalischen Sprachen, insbesondere einer jüngeren Generation von Komponist_innen?

Dieter Kaufmann: Ich erkenne vor allem eine Tendenz zu Unterhaltung durch Musik. Sogenannte “Ernste Musik” wird leider zunehmend durch die Musik der Vergangenheit abgedeckt.

Daniel Mayer: Die Vernetzung verändert das Bewusstsein radikal, man könnte sagen, die Postmoderne kann sich gerade erst mithilfe des Internets vollends manifestieren.

Sind Musik und Klangkunst in einer visuell dominierten Welt als Kunstformen grundsätzlich in der Defensive? Haben sich in der medialen Resonanz bzw. der Kunst- und Musikkritik die Gewichte verschoben?

Dieter Kaufmann: Mehr “Klangkunst” wäre wünschenswert!

Daniel Mayer: Die Aspekte des Visuellen und der Überschreitung des Klanglichen haben sicherlich Konjunktur, aber auch Musik, die sich dem entzieht, wird weiterhin geschaffen werden. Es gibt nicht nur die historischen Tendenzen, sondern auch die individuellen Dispositionen für dies oder jenes.

Herzlichen Dank für das Interview!

Biografien

Daniel Mayer (*1967) ist Komponist mit Schwerpunkt Elektronik. Er arbeitet und forscht in den Bereichen Klangsynthese und algorithmische Komposition und entwickelt dafür spezielle Software. Seine Musik wurde auf zahlreichen internationalen Festivals elektronischer und zeitgenössischer Musik aufgeführt und u.a. 2007 mit dem Giga-Hertz-Produktionspreis am ZKM Karlsruhe ausgezeichnet. Er absolvierte an der Universität Graz Studien der Mathematik und Philosophie und studierte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz instrumentale Komposition bei Gerd Kühr. 2001/02 studierte er postgradual am elektronischen Studio der Musik-Akademie Basel bei Hanspeter Kyburz. Seit 2011 ist er am Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz tätig, von 2011-14 Mitarbeit am FWF-Forschungsprojekt Patterns of Intuition, seit Oktober 2016 Gastprofessor für elektroakustische Komposition. Von 2014-17 kuratorische Tätigkeit beim Kulturzentrum bei den Minoriten, seit 2016 zusammen mit Gerhard Eckel und Marko Ciciliani für die Konzertreihe signalegraz. Im Wintersemester 2022/23 Edgard-Varèse-Gastprofessor des DAAD an der TU Berlin.
Quelle: daniel-mayer.at

Dieter Kaufmann gilt als einer der prominentesten Pioniere der elektronischen Musik Österreichs. Er studierte Komposition bei Gottfried von Einem und Karl Schiske, sowie Violoncello, Germanistik und Kunstgeschichte. Von 1990 bis zu seiner Emeritierung war er Professor für Komposition an der mdw. Für sein Schaffen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Ernst Krenek-Preis oder den Kärntner Landeskulturpreis. »Mit seiner Musik baut Kaufmann Brücken zum Hörer, indem er bekanntes Material verwendet, getragen vom Willen, mit dem Hörer auf einer verständlichen Ebene zu kommunizieren, entfernt sich aber gleichzeitig von den heiligen Hallen von Serialität und Klangkomposition. In den Siebziger Jahren gilt er, zusammen mit Komponisten wie etwa Gruber, Zykan oder Schwertsik, als Komponist der Neuen Einfachheit. Da er es aber niemandem allzu leicht machen will, lässt er diese Brücken nicht einfach stehen, sondern bringt eben Brüche ein, verfremdet, zerstört und lässt seine „objets trouvés“ aus der Musik vergangener Jahrhunderte und aus der Umwelt in einem neuen Licht sehen.« (Sabine Reiter in: mica, Portrait Dieter Kaufmann, 2010)


(MP, ChR)

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