Am 3. Februar 2023 bringt der Wiener Concert-Verein das 2018 entstandene Werk »Concertino« von Tomasz Skweres im Wiener Musikverein zur Aufführung. Beim Abonnementkonzert im Brahms-Saal stehen außerdem zwei Mozart-Symphonien, Dvoraks Romanze op. 11 und Mozarts fünftes Violinkonzert auf dem Programm. Wir haben vorab mit Tomasz Skweres über sein Stück für Streichorchester gesprochen.
Hinter dem Titel »Concertino« vermutet man eine Interaktion zwischen solistischen Passagen und der orchestralen Kraft des Tutti. Ist das eine Erwartung, die Dein Stück erfüllen möchte?
Tomasz Skweres: Ja, das Stück lebt von dem Spannungsfeld zwischen den solistischen Passagen und Momenten, in denen alle Instrumente zu einem gewaltigen Klangkörper verschmelzen. Das Konzept ist jedoch ein anderes als bei einem traditionellen Concerto Grosso, wo die solistischen Passagen von den Tutti-Passagen ganz klar getrennt sind und abwechselnd in Erscheinung treten. In meinem Stück tauchen die solistischen Stimmen immer wieder auf, oft unerwartet aus dem Tutti-Klanggewebe heraus, es sind meistens nur kurze Augenblicke, wichtig ist die ungewöhnliche Kommunikation, die zwischen den hervortretenden Stimmen entsteht. Es sind in erster Linie die Transformationen vom kollektiven Tutti-Klang zum solistischen, persönlichen Klang, die mich besonders interessieren.
Im Einführungstext zu Deinem Werk schreibst Du: »While composing I tried to identify with the individual parts, so as to give each instrumentalist a chance to co-create the interpretation.« Welche Art interpretatorische Freiheit ist Dir in diesem Werk oder in Deiner Musik im Allgemeinen besonders wichtig?
Tomasz Skweres: Ich habe versucht, mich während des Komponierens dieses Stückes mit jeder einzelnen Stimme, mit jedem einzelnen Musiker, der es spielen wird, zu identifizieren. Es ist mir in allen meinen Werken ein wichtiges Anliegen, den Interpreten eine Möglichkeit zu geben, eigene Emotionen auszudrücken und sie dem Publikum mitzuteilen. Besonders heute, wo uns die elektroakustische Musik unzählige, fantastische klangliche Möglichkeiten bietet, muss es meiner Meinung nach eine ganz bewusste Entscheidung sein, wenn man für »lebende« Interpreten schreibt. Dass die Musiker ausschließlich aufgefordert sind, möglichst genau die Partitur auszuführen, ist nicht genug, sie müssen auch Ihre Persönlichkeit zeigen dürfen.
Welche Rolle spielt der Dirigent oder die Dirigentin dabei? Am 3. Februar wird Pablo Boggiano das Konzert dirigieren – ist es Eure erste Zusammenarbeit?
Tomasz Skweres: Mit Pablo bin ich schon sein über 10 Jahren befreundet. Ich habe mich sehr gefreut, als ich erfahren habe, dass der wunderbare Concert-Verein mein Stück aufführen wird, noch dazu unter der Leitung eines so hervorragenden, ausdrucksstarken Dirigenten. Wie ich vorher gesagt habe, sind in dem Concertino alle Musiker und Musikerinnen zu einer persönlichen Gestaltung, besonders in den hervortretenden Passagen, eingeladen. Der Dirigent hat die Funktion, die Emotionen und Interpretationen der einzelnen Musiker auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, die persönlichen Aussagen in eine sinnvolle, der dramaturgischen Entwicklung des gesamten Werkes dienende Balance zu bringen.
Das Werk selbst erfuhr bereits mehrere Aufführungen. Was gab den Anlass zu seiner Entstehung?
Tomasz Skweres: Das Stück wurde beim LEO Festival 2018 in Breslau in Polen vom Leopoldinum Orchester unter der Leitung von Ernst Kovacic, der mir freundlicherweise diesen Auftrag erteilt hat, uraufgeführt. Es war ein Konzert anlässlich der Feier der 100 Jahre von Polens Unabhängigkeit, ausschließlich mit Werken polnischer Komponist*innen aus verschiedenen Epochen. Mein Stück hat sozusagen die Musik der Gegenwart vertreten. Darüber hinaus hat das Leopoldinum Orchester das Stück bei den beiden wichtigsten Festivals für zeitgenössische Musik in Polen gespielt – beim Warschauer Herbst und bei Musica Polonica Nova in Breslau. In Deutschland wurde das Werk vom Philharmonischen Orchester Regensburg und vom Uniorchester Regensburg aufgeführt.
Hat sich Deine Sicht auf das Stück im Laufe der Zeit durch die verschiedenen Aufführungen verändert?
Tomasz Skweres: Ich habe es sehr genossen, verschiedene Interpretationen zu hören. Bei jeder Aufführung sind immer andere Stellen besonders gut und kreativ, und einzelne Fragmente vielleicht auch weniger gut gelungen. Das gibt mir immer einen Anstoß darüber nachzudenken, wie ich bestimmte Passagen noch überzeugender, zwingender komponieren oder aufschreiben kann.
»Im Allgemeinen kann man den Kompositionsstil von Skweres als zeitgenössisch expressiv, jedoch nicht avantgardistisch bezeichnen.« schreibt Tomasz Skweres über die Musik von Tomasz Skweres. Was ist zeitgenössisch expressiv? Was ist Dein ästhetisches Ziel?
Tomasz Skweres: Der Mensch in seiner Perzeptionsfähigkeit und psychologischen Struktur hat sich in den letzten Jahrhunderten nicht sehr verändert, nur die Umgebung und die Art und Weise, wie wir leben, sind ständig im Wandel. Die Überlegungen im Laufe des Kompositionsprozesses über solche Aspekte wie die Gestaltung der Form und des dramaturgischen Aufbaus und eine bewusste Entwicklung der emotionalen Ausdrucksqualität eines Werkes sind unabhängig von der Epoche. Beim Komponieren versuche ich, sehr auf den Mechanismus der menschlichen Wahrnehmung zu achten und möchte bewusst mit psychologischen Parametern wie Erwartung oder der subjektiven Zeitwahrnehmung spielen, um dabei das Publikum in eine Welt der starken Emotionen zu entführen. »Zeitgenössisch expressiv« bedeutet für mich also eine Musik, die mit den Mitteln einer die heutige Zeit reflektierenden Tonsprache bewusst die ganze Palette der Wahrnehmungsfähigkeiten der Zuhörer nutzt, um eine möglichst hohe emotionale Expressivität zu erzeugen.
Verlässt sich das »Concertino« im Speziellen auf traditionelle kompositorische Strategien zur Vermittlung von Ausdruckskraft wie melodische Gesten oder – in Bezug auf die Harmonik – funktional klar sich unterscheidende Farben?
Tomasz Skweres: Die traditionellen Grundparameter wie Harmonie, Klangfarbe und melodische Linie sind sehr miteinander verbunden, und es ist eine Frage der Perzeption, ob ein paar zusammengehörende Töne in erster Linie als eine melodische Geste oder ein harmonisches Gebilde wahrgenommen werden.
Abschließend zu etwas ganz anderem. Zurzeit macht die KI-Software ChatGPT große Schlagzeilen: Gebrauchstexte und bis zu einem gewissen Grad auch Stilübungen oder Algorithmen lassen sich damit in erstaunlicher Qualität erzeugen. Es ist absehbar, dass mit solchen Tools auch neue und tatsächlich neuartige Kunst – Klangkunst inklusive – geschaffen werden wird. Welche Potenziale aber liegen heute noch in der klassischen Art und Weise zu komponieren?
Tomasz Skweres: Ich betrachte künstliche Intelligenz nicht als eine unmenschliche Kraft, sondern eine Summe oder einen Mittelwert der Resultate des Schaffens von Millionen Menschen. Die künstliche Intelligenz macht also nichts anderes, als zu wiederholen und höchstens neuartig zusammenzustellen, was die Menschen vorher gemacht haben. Das größte Potenzial, sowohl heute als auch in der Vergangenheit, ist, eine ganz persönliche Musiksprache zu entwickeln, die die Inhalte über die heutige Zeit und deren Menschen vermittelt – und damit ist ein Komponist nicht von der KI ersetzbar.
Dein Werkverzeichnis ist ganz beachtlich, heuer steht eine Opernpremiere an. Einmal abgesehen von großen Karriereschritten: Welche rein kompositorischen Ambitionen verfolgst Du gegenwärtig? Gibt es in Bezug auf Deinen Personalstil so etwas wie Etappenziele, die Du Dir steckst?
Tomasz Skweres: In den letzten Jahren habe ich das Glück gehabt, Auftragskompositionen für verschiedene Orchester schreiben zu dürfen, darunter auch für das RSO Wien. Meiner Meinung nach passt meine Tonsprache am meisten entweder für Orchesterwerke, oder für Solostücke und klein besetzte Kammermusik, hauptsächlich für Streicher. Bei Orchesterwerken kann ich mich gut in Bezug auf den Klangfarbenreichtum sowie auf eine Mehrschichtigkeit, die in meiner Musik eine große Rolle spielt, austoben. Bei Solowerken konzentriere ich mich auf die expressiven Gesten, die den Interpreten in die Rolle eines Protagonisten versetzen. Ich bin sehr glücklich, jetzt an dem Auftrag des sirene Operntheaters in Wien für eine abendfüllende Oper arbeiten zu dürfen. Es ist mein erstes großes Musiktheaterwerk, nach zwei kleinen Kammeropern. Ich glaube, in diesem Genre kann ich meine Erfahrungen aus der Orchestermusik mit denen, die ich während der Arbeit an den Solostücken gesammelt habe, gut verbinden.
Worauf dürfen sich die Konzertbesucher:innen am 3. Februar ganz besonders freuen?
Tomasz Skweres: Ich bin sicher, es wird ein ganz tolles Konzert, und bin glücklich, ein Teil davon sein zu dürfen! Gerade solche Konzerte, bei denen die zeitgenössische Musik mit Musik anderer Epochen zu einem schlüssigen, spannenden Programm verbunden wird, interessieren mich am meisten. Ich freue mich, wenn meine Kompositionen von einem breiten Publikum gehört werden, nicht nur von einem Fachpublikum, wie es oft der Fall bei Festivals für zeitgenössische Musik ist.
Herzlichen Dank!
(ChR)
Tomasz Skweres
Der polnische Komponist und Cellist (* 1984 in Warschau) studierte an der Universität für Musik Wien und lebt derzeit in Regensburg und Wien.
Seit einigen Jahren liegt der Hauptfokus seines Schaffens auf Orchestermusik, er schrieb Auftragswerke unter anderen für das Radiosymphonieorchester Wien, Philharmonisches Orchester Regensburg, Orchester Leopoldinum, Niederbayerische Philharmonie, Kammerorchester Madrid Soloists, New Music Orchestra, Apollon Musagete Quartett, Österreichisches Ensemble für Neue Musik.
Er gewann Preise bei zahlreichen internationalen Kompositionswettbewerben, u.a. den Zemlinsky Prize (USA), TONALi Kompositionspreis (DE), Earplay Composers Competition (USA), Martirano Award (USA) und erhielt das österreichische Staatstipendium für Komposition, den Publicity Preis der austromechana und den Förderpreis der Stadt Wien.
Seine Werke erscheinen bei den Verlagen Doblinger und Sikorski und werden regelmäßig bei internationalen Festivals wie Wien Modern, Warschauer Herbst und ISCM World Music Days aufgeführt.
Skweres ist ein gefragter Interpret der neuen Musik. Er ist Solocellist des Philharmonischen Orchesters Regensburg und des deutschen Ensembles Risonanze Erranti.